Donnerstag, 12. Juli 2018

Offener Brief zum Thema pflegende Angehörige

Hier mal ein öffentliches Schreiben unserer SHG ENTHINDERT, dass wir Anfang des Jahres an alle Oppositionsparteien geschickt haben. Von der SPÖ haben wir einen Anruf erhalten, man könne aber zu dem Thema nicht wirklich viel sagen, man müsse sich mit der neuen Behindertensprecherin in Verbindung setzen. Dass haben wir bereits getan und sind wir Birgit Sandler sehr dankbar für ein gutes erstes Gespräch. Es gab sonst keine Rückmeldungen!

Hier mal zum Nachlesen worum es denn eigentlich geht:


Viel liest man über pflegende Angehörige, über Menschen mit Beeinträchtigungen. Sehr viel wurde diesbezüglich thematisiert bzw. auch umgesetzt. Es gibt viele Vereine und Unterstützung für diese Menschen, sowie für pflegende Angehörige (z. B. IG-pflegende Angehörige). Eine wirklich tolle Sache!
Nun gibt es aber eine Gruppe, die so gut wie nie erwähnt bzw. bedacht wird -  sei es bei Umsetzung von Gesetzen, als auch bei Berücksichtigung von Studien, Interessenvertretung, etc. Dies ist die
Gruppe von pflegenden Angehörigen von Kindern mit Beeinträchtigungen jeden Alters
Das neue Erwachsenenschutzgesetz ist eine großartige Sache. Für jeden ist etwas dabei. Die Situation von  jungen Erwachsenen mit intellektuellen Beeinträchtigungen scheint hier aber nicht bedacht worden zu sein.
Eine Studie über die Bedürfnisse von pflegenden Angehörigen wurde vom Sozialministerium in Auftrag gegeben, pflegende Angehörige von Kindern mit Behinderungen, mj. oder erwachsen, wurden aber laut Auskunft der Universität Wien, die diese Studie durchführt, nicht mit einbezogen.
Oft geht man fälschlicherweise davon aus, dass pflegende Angehörige die Möglichkeit haben, sich ein „Netzwerk“ aufzubauen bzw. dass sie eines haben. Das ist leider eine vollkommen falsche Annahme. Es gibt viele Alleinerziehende, die auf Unterstützung, wie die der Mindestsicherung angewiesen sind, die keinen familiären und finanziellen Hintergrund  haben. Unter diesen Umständen ist es  sehr schwer, auch noch  berufstätig zu sein.
Laut derzeitiger Rechtslage ist eine Voraussetzung für den Bezug von Leistungen aus der BMS, der Einsatz der Arbeitskraft. Aber der Einsatz der Arbeitskraft darf insbesondere dann nicht verlangt werden, wenn pflegende Angehörige mit zumindest der Pflegestufe 3 überwiegend betreut werden. Die BMS sieht somit Leistungen für all jene vor, die aufgrund der Pflege keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können und auch keinen Anspruch auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung geltend machen können.
Soweit pflegende Angehörige jedoch das Pflegegeld für ihre Leistungen erhalten, wird ihnen dieses als Einkommen in der BMS angerechnet.
Erfreulicherweise, hat man in Wien schon umgedacht, und ab 01.01.2018 geplant, das Pflegegeld hier nicht mehr als Einkommen anzurechnen.
Durch die neue Regierung, wird dies aber möglicherweise wieder in Frage gestellt werden.
Laut Plan von ÖVP/FPÖ will man das OÖ bzw. das NÖ BMS Modell auf Bundesebene durchsetzen.
Das wiederum würde uns massiv unter Druck setzen. Für uns pflegende Angehörige von beeinträchtigten Kindern, wäre das Wiener Modell das einzig optimale, mit dem wir auch unseren Lebensunterhalt bestreiten können. Alle anderen Modelle würden uns finanziell  schwer treffen und massiv in der Lebensgestaltung behindern.
Viele von unseren Kindern bleiben, auch wenn sie bereits erwachsen sind, zu Hause wohnen. Das ist in fast allen Fällen auch deren eigener Wunsch.
Mit den BMS Modellen von OÖ und NÖ auf Bundesebene, wäre aber ein selbstbestimmtes Leben unmöglich.
Denn in OÖ z.B. bekommt ein behinderter Erwachsener, sofern er zu Hause wohnen bleibt, eine BMS von max. EUR 212,- zur Verfügung gestellt. Wenn nicht die Eltern bzw. sogar die Großeltern, ein eigenes Einkommen haben. In Wien ist ein erwachsener Mensch mit Beeinträchtigung, mit dem vollen Bezug der BMS, ein eigenständiger Mensch, mit eigenem  Geld, und hat somit die Möglichkeit auf ein selbstbestimmtes Leben. In OÖ ist das nicht der Fall.
Eine Hilfestellung könnte sein, dass das Wiener BMS Modell für  Menschen mit Beeinträchtigung, sowie deren pflegende Angehörige (ab Stufe 3, wenn es keine Möglichkeit gibt, einer Arbeit nachzugehen), auf Bundesebene angedacht wird.
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Wien ist eine großartige Stadt und auch beim Angebot von Tagesstätten und Betreuungseinrichtungen ein Paradebeispiel. Leider leiden viele Mitstreiter von betroffenen Kindern (egal ob mj. oder volljährig) in den anderen Bundesländern, vor allem im ländlichen Raum sehr darunter, dass man hier bisher den Ausbau von Tagesstätten „vermieden“ hat.
Eine Hilfestellung wäre hier ein massiver Ausbau von Tageszentren und Tagesstrukturen im ländlichen Raum und den Bundesländern.
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Auch das Problem der 24 Std. Pflege betrifft einige der Mitstreiter in massivem Ausmaß. Sowohl bei der Finanzierung, als auch bei der Qualitätssicherung.
Eine Hilfestellung wären hier dringende massive Verbesserungen. Mehr finanzielle Unterstützung oder günstigere Vertragsbedingungen sowie eine qualitative Verbesserung.
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Ebenfalls ein großes Problem für pflegende Angehörige von  Kindern mit Beeinträchtigungen, vor allem bei psychischen Erkrankungen stellt die Einstellung der erhöhten Familienbeihilfe für junge Erwachsene ab 18 Jahren, mit einem Schweregrad der Behinderung von mindestens 50%, dar (so sie nicht studieren und daheim wohnen).
Laut der derzeitigen Rechtslage ist bei einem Arbeitsversuch gemäß § 8 Abs 6a Familienlastenausgleichsgesetz, folgende Gegebenheit:
Wenn bei einer Person mittels Sachverständigengutachten eine dauernde Erwerbsunfähigkeit (als Dauerzustand) gestellt wurde und Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe besteht, diese Person dann einen Arbeitsversuch unternimmt, wobei in der Folge das Einkommen die im § 5 Abs. 1 normierte Einkommensgrenze übersteigt, besteht für dieses Kalenderjahr kein Anspruch auf die Familienbeihilfe; fällt das Einkommen in einem nachfolgenden Kalenderjahr wieder unter die genannte Grenze, kann der Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe wieder aufleben.
Tatsache ist, dass gerade bei Kindern und Jugendlichen sowie jungen Erwachsenen mit psychischen Erkrankungen, wie z.B. AD(H)S, Borderlinestörung, Lernschwächen bzw.  verminderter Intelligenz, etc. eine Arbeitssuche bzw. eine Lehrstellensuche erheblich erschwert ist. Tatsache ist auch, dass in diesen Fällen oft durch die Erkrankung längere Krankenstände, längere Ausfälle bzw. auch vermehrt Abbrüche von Lehren, etc. vorkommen. Aufgrund der Grunderkrankung sind dann diese  jungen Menschen sowieso schon massiv unter Druck und benachteiligt. Ab 18 Jahren zählen AMS Kurse, Produktionsschulen, etc. zu einem Arbeitsversuch. Somit erhalten diese jungen Erwachsenen dann keine erhöhte Familienbeihilfe mehr. Sind auch von vergünstigten  Monatsmarken für die Öffis und sonstigen Vergünstigungen ausgeschlossen, es sei denn, sie befinden sich in einem Lehrverhältnis. Dies ist aber, wie oben bereits erwähnt, oft nicht in einem Durchgang zu erbringen.
Eine Hilfestellung hierbei wäre, wenn man zumindest, wie z. B. bei Studierenden, durchgehend bis 24,  aber auf alle Fälle bis zur Beendigung eines Lernzieles (also meist Lehrabschluss),  die erhöhte Familienbeihilfe erhalten würde.
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Auch ein Punkt ist das Problem mit den Hilfsmitteln. Die einen bekommen sie zur Verfügung gestellt, die anderen nicht. Auch das ist von der Krankenversicherung und dem Bundesland abhängig.
Eine Hilfestellung wäre auch hier eine Einigung auf das Wiener Modell auf Bundesebene.
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Eine psychologische, psychiatrische bzw. physikalische Therapie, in Form von  Hausbesuchen auf Krankenkasse,  wäre in vielen Fällen sehr notwendig.
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Ein letzter wichtiger Punkt  ist das Problem mit den Behörden. Hier können alle pflegenden Angehörigen wohl „ein Lied singen“.
Der Umgang der Behörden, der Ämter, der Krankenkassen etc. mit pflegenden Angehörigen ist oft sehr problematisch. Nicht nur, dass wir immer wieder neu beantragen müssen, immer wieder Wochen und Monate auf Erledigung warten, und zu „Bittstellern der Nation“ werden, ist der teilweise sehr respektlose Umgang mit uns und unseren Kindern ein sehr trauriger und unangenehmer Umstand. Auch die Willkür der GutachterInnen stellt ein großes Problem dar. „von oben“ kommt die Empfehlung  Pflegestufen zu reduzieren und/oder Behindertengrade zu herab zu setzen.Ein trauriger Umstand, wenn man mit Gutachtern darüber diskutieren muss, welchen „Aufwand“ man als Elternteil in der Pflege betreibt. Überhaupt werden Eltern bei Behörden, Ämtern, Spitälern, Ärzten, Gutachten, etc. nicht eingebunden. Man fährt gerne „über sie drüber“, denn in der Realität sind  nur „Experten“ im Stande, über Pflegeaufwand, Umgang mit den Betroffenen, etc. zu entscheiden. Man setzt die Eltern damit ständig unter Druck und das ständiges „nicht wissen, wie es ausgeht“, wenn man z. B. Behindertenpass, Parkausweis, Parkplatz, Rollstuhl, Pflegestufe, etc. beantragt oder verlängern lassen muss, ist sehr belastend.
Wir, pflegende Angehörige von Kindern mit Beeinträchtigungen JEDEN Alters, sitzen im selben Boot. Die einen im „Oberdeck“ (also wenn z. B. ein familiäres Netzwerk vorhanden ist), die anderen im „Unterdeck“ (z.B. alleinerziehend – ohne familiäre Unterstützung). Trotzdem rudern wir gemeinsam durchs Meer und kein politischer und/oder gesellschaftlicher Hafen  lässt uns „an Land gehen“.
Politische und gesellschaftliche Unterstützung, sowie konkrete Verbesserungen wären  wünschenswert.

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