Dringende Anliegen von pflegenden und betreuenden Angehörigen – Eltern als pflegende und betreuende Angehörige
Die
Selbsthilfegruppe
ENTHINDERT
bedankt sich für
die Einladung, für das Gespräch
und die
Möglichkeit unsere Sicht der Dinge darzustellen.
Zahlen,
Daten, Fakten: Quellen: Statistik Austria, kwp.at ÖZPR, Betroffene
Jede
4. Familie in Österreich ist davon betroffen
2017
gab es 456.650 Pflegegeldbezieher in Österreich (Tendenz steigend)
16%
der Pflegegeldbezieher werden Stationär betreut
rund
2% nehmen die 24 Std. Pflege in Anspruch (die keine 24 Std. Pflege
ist)
rund
83% werden von pflegenden Angehörigen zu Hause betreut
hinzu
kommen rund 46.000 Kinder und Jugendliche zwischen 5
und 18! Jahren, die als pflegende Angehörige ihrer Eltern und
Geschwister fungieren (die Dunkelziffer wird wesentlich höher
eingeschätzt).
Rund
120.000 Österreicher leiden an einer demenziellen Erkrankung (auch
hier gibt es steigende Zahlen)
12%
gaben in einer Studie zur Situation pflegender Angehöriger an, dass
in ihrer ländlichen Umgebung KEIN oder ein unzureichendes Angebot
mobiler Dienste vor Ort ist. Auch in unserer Gruppe wurde dies von
betroffenen Eltern mehrfach bestätigt.
42%
können sich finanziell keinen Pflegedienst leisten.
Ca.
55% der pflegenden Angehörigen (überwiegend nach wie vor Frauen)
erhalten ein Brutto-Monatseinkommen von weniger als EUR 863,- (dz.
BMS) und sind somit Aufstocker. Wesentlich öfter sind dabei
Alleinerziehende und Alleinbetreuende betroffen.
In
Österreich sind rund 18% (Zahl von Behindertenanwalt
Dr. Hofer bestätigt) von einer Behinderung betroffen, wobei
nur rund 2% mit einer Behinderung auf die Welt kommen und alle
anderen durch Freizeitunfälle, Arbeitsunfälle, Autounfälle,
Erkrankungen wie Herzinfarkte, Schlaganfälle oder Krebs, schwere
psychische Erkrankungen etc. im Laufe ihres Lebens beeinträchtigt
bzw. behindert werden.
Hinzu
kommen insgesamt fast 10% an pflegenden Angehörigen,
die bisher kaum oder gar nicht tatsächlich bei der Thematik
miteinbezogen wurden.
Das
Thema Pflege ist für pflegende Angehörige ein sehr komplexes Thema.
Insbesondere, wenn man sein eigenes Kind pflegt und betreut.
Der
Fokus bei der Diskussion um die Pflege liegt fälschlicherweise
bisher immer nur in der Altenpflege.
Es
ist aber eine Tatsache, dass auch Eltern von Kindern mit
Behinderungen und Kinder und Jugendliche die ihre Eltern pflegen von
diesem Thema betroffen sind.
Was
Eltern von Kindern mit Behinderungen dringend benötigen würden,
aber auch alle anderen pflegenden Angehörigen betrifft ist natürlich
die
-
ERHÖHUNG DES PFLEGEGELDES.
Die
Frage ist allerdings wie man diese Erhöhung gegenfinanziert, auch
das ist uns durchaus bewusst. Wenn Betroffene durch ihre Angehörigen
zu Hause gepflegt werden können, dann hilft das dem System, der
Gesellschaft und insbesondere auch dem Steuerzahler.
Warum?
Weil die Pflege in einem Pflegeheim oder einer entsprechenden WG
wesentlich teurer kommt, als wenn man die Angehörigen und die
Betroffenen gleichermaßen zu Hause finanziell unterstützt.
Die
Regierung plant derzeit eine Neuausrichtung der Sozialhilfe
(ehemalige Mindestsicherung). Beim 1. Hinschauen vielleicht „fair“.
Bei näherer Betrachtung ist es für uns eine schwere Bestrafung von
Angehörigen und auch von Betroffenen. Warum? Weil hier alles auf
KANN-Bestimmungen ausgerichtet ist. Somit weiterhin der AMTSWILLKÜR
Tür und Tor geöffnet bleibt.
Was
pflegende Angehörige DRINGEND benötigen, dass ist eine finanzielle
Absicherung. Nicht allen pflegenden Angehörigen ist es möglich,
sowohl zu pflegen, als auch zu arbeiten. Daher galt ja bisher die
Regelung:
Eine
Voraussetzung für den Bezug von Leistungen aus der BMS ist der
Einsatz der Arbeitskraft. Der Einsatz der Arbeitskraft darf
insbesondere dann nicht verlangt werden, wenn pflegebedürftige
Angehörige mit zumindest der Pflegestufe 3 überwiegend betreut
werden. Die BMS sieht somit Leistungen für all jene vor, die
aufgrund der Pflege keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können und
auch keinen Anspruch auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung
geltend machen können. (Quelle ÖZPR)
Daher
fordern wir dringend ein
-
BETREUUNGSGELD(der derzeit wichtigste Punkt)
für
alle (in sämtlichen Bundesländern einheitlich und
unabhängig vom Einkommen im gemeinsamen Haushalt lebender Personen)
die aufgrund der Pflege und Betreuung dem Arbeitsmarkt nicht zur
Verfügung stehen können.
Somit
wären pflegende Angehörige nicht gezwungen in der ehemaligen BMS
bzw. in der neuen Sozialhilfe zu „versumpern“ bzw. sich in dieser
„sozialen Hängematte“ „ausruhen“ zu müssen.
Hier
ein kurzer Auszug zum Vergleich – Pflege zu Hause und Pflege im
Heim:
Einerseits
werden die Pflegekosten für den Steuerzahler „explodieren“
andererseits sind die finanziellen Ressourcen und das Personal sowie
die Pflegeplätze nicht gegeben.
Arbeitsplatzbeschaffung
auf dem Rücken der zu Pflegenden, die lieber zu Hause betreut werden
wollen (Zwangsverheimung) ist nicht hinnehmbar.
Ein
Pflegeplatz kostet / Monat im Durchschnitt: (Quelle: kwp.at):
für
die Stufe 3 EUR 4.970,70
Stufe
4 EUR 5.320,80
Stufe
5 EUR 5.788,80
Stufe
6 EUR 6.442,20
Stufe
7 EUR 7.422,60 (Stand: Jänner 2017)
(Ein
Heimvertrag in NÖ – Behinderten-WG kostet tägl. EUR 318,- -
Quelle: KM)
Dem
gegenüber stehen derzeit folgende Kosten (hier wurde das Wiener
Modell herangezogen):
EUR
863 x 2 (Stand 2018)
Hinzu
kommt Pflegegeld der Pflegestufen ab Stufe 3 (da erst hier anwendbar)
nach Abzug von EUR 60,- bei gleichzeitigem Bezug der erhöhten FB
(Stand 2017)
Stufe
3 EUR 397,80
Stufe
4 EUR 617,60
Stufe
5 EUR 860,20
Stufe
6 EUR 1.225,20
Stufe
7 EUR 1.628,90
Hinzu
kommen Familienbeihilfe von EUR 162,/ Monat (ab 18)+
erhöhte
Familienbeihilfe von EUR 152,90 / Monat
____________________________________________
Ergibt
in Summe:
Stufe
3 EUR 2.362,34
Stufe
4 EUR 2.588,14
Stufe
5 EUR 2.830,74
Stufe
6 EUR 3.195,74
Stufe
7 EUR 3.599,44
____________________________________________
Vergleicht
man nun die Werte zwischen „Daheim statt Heim“ und
Heimunterbringung ergeben sich folgende Werte („Ersparnis“):
Stufe
3: EUR 2.607,66
Stufe
4: EUR 2.732,66
Stufe
5: EUR 2.958,06
Stufe
6: EUR 3.246,46
Stufe
7: EUR 3.823,16
Selbst
wenn man dann noch einen Wert von rund EUR 1.000 bis EUR 1.800,- im
Durchschnitt (abhängig von der Pflegegeldstufe und der
Tagesstruktur) abzieht für Tagesstätten und Werkstätten ergibt
sich immer noch ein PLUS von durchschnittlich
1.500,-/Person! - betrifft ab Stufe 3 gesamt 232.365
Personen (Quelle: MRV: Punktation Pflege)
Diese
Tatsache sollte bei all´ der Diskussion um die Pflege unbedingt
berücksichtig werden. Auch wenn die eine Auszahlung vom Bund und die
andere Auszahlung vom Land finanziert wird, so sollte darüber
nachgedacht werden, dass man hier auf Kosten der Betroffenen dem
Steuerzahler kein „X für ein U“ vormachen sollte.
***
Dringend
benötigt wird ein
-
AUSBAU an Mobiler Pflege UND Betreuung.
Derzeit
gibt es mobile Pflege, aber nicht flächendeckend in ganz Österreich.
Hinzu kommt, dass die Mobile Pflege nur für die Pflege, nicht aber
für die Betreuung, zuständig ist.
Hierbei
wäre ein Abbau der Bürokratie auch dringend nötig.
Die Wartezeiten auf eine Mobile Pflege dauern zu lange, sind
teilweise unflexibel (Eltern müssen sich nach den Bedingungen der
Anbieter richten, nicht umgekehrt).
Gemeinsam
zur Mobilen Pflege wäre auch
-
ein AUSBAU der Freizeit, Arbeits- und Persönlichen Assistenz
wünschenswert.
Dringend
nötig wäre auch ein
***
-
AUSBAU der Kinderhospiz
***
-
Die 24 Stunden Pflege (die KEINE ist)
muss
dringend verbessert werden. Die Qualität der Anbieter lässt hier
teilweise sehr zu wünschen übrig. Es gibt keine Qualitätssicherung
und man findet keine Betreuer. Eine einheitliche Vorgabe auf
Bundesebene wäre sehr vernünftig. Die derzeitige finanzielle
Unterstützung ist aber nicht ausreichend .
***
-
Ende der Zwangsverheimung und
-
Ende der Willkür bei Ärzten, Gutachtern, und Ämtern
Es
muss ein Ende der „Zwangsverheimung“ geben. Gutachter, Ärzte,
Ämter bestimmen meist willkürlich über das Leben der
Betroffenen und auch über dass der Angehörigen. Hier wird einfach
über Personen unter dem Deckmantel „zum Wohle aller“ drüber
gefahren. Die geplante „Qualitätssicherung“ in der Pflege zu
Hause, Seitens der Regierung, gleicht eher einer „Entmündigung“,
denn einer Qualitätskontrolle.
Was
uns Eltern in weitestem Sinne auch betrifft, dass ist die Tatsache,
dass für uns der Pflegeregress nicht gefallen ist und wir für
unsere Kinder ein Leben lang aufkommen müssen.
Schön
und gut, aber wenn man unseren Kindern ein selbstbestimmtes Leben
verweigert, indem man sie kurz hält, ihnen die Deckung der
Grundbedürfnisse und des Lebens verweigert, bzw. indem man sie klein
hält, weil es immer noch keinen
-
Lohn statt Taschengeld
gibt,
dann deckt sich dass nicht mit den Wünschen und Vorgaben.
Nach
wie vor bekommen Menschen in Tagesstrukturen und Werkstätten ein
Taschengeld zwischen EUR 30,- und EUR 60,- im Monat.
Tatsache
ist, dass in Werkstätten gearbeitet wird! Menschen arbeiten dort
fast GRATIS! Richtig ist, sie zahlen keine Steuern. Richtig ist aber
auch, dass sich Betriebe hier auf dem Rücken von Menschen mit
Behinderungen Geld sparen für ihre Unternehmen. Dass muss ein Ende
haben.
Die
Privatwirtschaft bzw. der 1. Arbeitsmarkt mag Menschen mit
Behinderungen nicht aufnehmen oder nur sehr sperrlich Arbeit zur
Verfügung stellen. Trotzdem haben diese Menschen RECHT auf Arbeit.
Dann muss man ihnen auch einen Arbeitsplatz schaffen. Es gibt einen
sogenannten 2. Arbeitsmarkt der viele Menschen mit Behinderungen und
auch chronisch Kranke „beherbergt“. Schön und gut! ABER dann
müssen diese Menschen vernünftig bezahlt werden!!! Mit
Pensionsversicherung, Sozialversicherung, Krankenversicherung,
Urlaubs- und Weihnachtsgeld!
All
das hat man bisher verabsäumt und stempelt man diese Menschen als
„Sozialhilfeempfänger“ und Menschen, die sich`s in der „sozialen
Hängematte“ gut gehen lassen, ab!
***
Eine
weitere nicht nachvollziehbare Maßnahme der Regierung, die uns als
Eltern sehr wohl betrifft, dass ist die Tatsache, dass unsere Kinder,
sofern sie es nicht geschafft haben am 1. Arbeitsmarkt zu lernen und
Fuß zu fassen (in den meisten Fällen ein Ding der Unmöglichkeit)
eine Ausbildung am 2. Arbeitsmarkt absolvieren. Also die viel
verspottete IBA und ÜBA Lehre zu machen. Die Regierung geht hier
davon aus, dass junge Erwachsene ab 18 bereits ausgelernt haben
sollten und wenn sie dies nicht haben, dann werden sie bestraft. Man
möge sich am 1. Arbeitsmarkt eine Lehre suchen, oder mit der
Halbierung der Lehrlingsentschädigung für IBA und ÜBA
Lehren im 1. und 2. Lehrjahr klar kommen. Eine Bestrafung die vielen
dieser Betroffenen nicht ermöglicht ein selbstbestimmtes Leben zu
führen. Tatsache ist aber, dass man erst dann einen Platz in einer
ÜBA oder IBA Lehre bekommt, wenn man es wegen seiner intellektuellen
Beeinträchtigung oder wegen seiner psychischen Beeinträchtigung
oder wegen seiner körperlichen Beeinträchtigung oder allem
zusammen, nicht geschafft hat, am 1. Arbeitsmarkt einer Lehre
nachkommen zu können. Hier werden Menschen diskriminiert und
bestraft, weil sie nicht „richtig funktionieren“.
All
das sind Probleme die uns als betroffene Angehörige und auch unsere
Kinder mit Behinderungen betreffen und all das sind Probleme die
dringend „angepackt“ und verbessert werden müssen.
***
(Man
kann im Übrigen noch so sehr die Ausbildung in der Pflege ausbauen
und „verbessern“. Solange man nicht vernünftige
Rahmenbedingungen schafft, nämlich bessere Bezahlung, bessere
Arbeitsbedingungen, bessere Arbeitszeiten, etc., wird sich das
Problem nicht verbessern lassen. Und im Übrigen ist NICHT jeder für
die Pflege geeignet. Mit so Ideen wie, „da kann man die
Arbeitslosen heranziehen“, verschlechtert und erniedrigt man die
Sparte der Pflege und Betreuung zusätzlich. )
Die
Idee einer zusätzlichen Pflegeversicherung, so wie nach dem System
bei Kranken- und Pensionsversicherung, für ALLE gleich, wäre aus
unserer Sicht durchaus diskussionswürdig.
***
-
AUSBAU der Nachmittagsbetreuung für Kinder mit Behinderungen
Eltern,
die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen können, weil die Pflege
und Betreuung nicht so aufwändig ist, brauchen ganz dringend
einen Ausbau der Nachmittagsbetreuung.
***
-
Gemeinsam Wohnen – Inklusion
Ein
letzter wichtiger Punkt wäre von unserer Seite noch anzumerken zur
Idee, dass man Senioren und Studenten gemeinsam unterbringt und
gemeinsam wohnen lässt. Die Idee ist nicht neu und wurde auch schon
von unserer Seite aufgegriffen, mit dem einzigen Unterschied, dass
wir finden, dass hier auch Menschen mit Behinderungen unbedingt
berücksichtigt werden sollen. Hier könnte man das betreute,
aber auch das teilbetreute Wohnen für Menschen mit
Behinderungen ausbauen. Das wäre ein großer und wichtiger
Schritt auf dem Weg zur Inklusion.
Wien,
am 14.01.2019 Selbsthilfegruppe ENTHINDERT
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