Mittwoch, 23. Januar 2019

Zur Info - Unser Schreiben zum Thema Anliegen von pflegenden Angehörigen - Eltern als pflegende und betreuende Angehörige -


Dringende Anliegen von pflegenden und betreuenden Angehörigen – Eltern als pflegende und betreuende Angehörige







Die Selbsthilfegruppe ENTHINDERT
bedankt sich für die Einladung, für das Gespräch
und die Möglichkeit unsere Sicht der Dinge darzustellen.










Zahlen, Daten, Fakten: Quellen: Statistik Austria, kwp.at ÖZPR, Betroffene




Jede 4. Familie in Österreich ist davon betroffen


2017 gab es 456.650 Pflegegeldbezieher in Österreich (Tendenz steigend)


16% der Pflegegeldbezieher werden Stationär betreut


rund 2% nehmen die 24 Std. Pflege in Anspruch (die keine 24 Std. Pflege ist)


rund 83% werden von pflegenden Angehörigen zu Hause betreut






hinzu kommen rund 46.000 Kinder und Jugendliche zwischen 5 und 18! Jahren, die als pflegende Angehörige ihrer Eltern und Geschwister fungieren (die Dunkelziffer wird wesentlich höher eingeschätzt).
Rund 120.000 Österreicher leiden an einer demenziellen Erkrankung (auch hier gibt es steigende Zahlen)


12% gaben in einer Studie zur Situation pflegender Angehöriger an, dass in ihrer ländlichen Umgebung KEIN oder ein unzureichendes Angebot mobiler Dienste vor Ort ist. Auch in unserer Gruppe wurde dies von betroffenen Eltern mehrfach bestätigt.


42% können sich finanziell keinen Pflegedienst leisten.


Ca. 55% der pflegenden Angehörigen (überwiegend nach wie vor Frauen) erhalten ein Brutto-Monatseinkommen von weniger als EUR 863,- (dz. BMS) und sind somit Aufstocker. Wesentlich öfter sind dabei Alleinerziehende und Alleinbetreuende betroffen.




In Österreich sind rund 18% (Zahl von Behindertenanwalt Dr. Hofer bestätigt) von einer Behinderung betroffen, wobei nur rund 2% mit einer Behinderung auf die Welt kommen und alle anderen durch Freizeitunfälle, Arbeitsunfälle, Autounfälle, Erkrankungen wie Herzinfarkte, Schlaganfälle oder Krebs, schwere psychische Erkrankungen etc. im Laufe ihres Lebens beeinträchtigt bzw. behindert werden.
Hinzu kommen insgesamt fast 10% an pflegenden Angehörigen, die bisher kaum oder gar nicht tatsächlich bei der Thematik miteinbezogen wurden.


Das Thema Pflege ist für pflegende Angehörige ein sehr komplexes Thema. Insbesondere, wenn man sein eigenes Kind pflegt und betreut.
Der Fokus bei der Diskussion um die Pflege liegt fälschlicherweise bisher immer nur in der Altenpflege.
Es ist aber eine Tatsache, dass auch Eltern von Kindern mit Behinderungen und Kinder und Jugendliche die ihre Eltern pflegen von diesem Thema betroffen sind.


Was Eltern von Kindern mit Behinderungen dringend benötigen würden, aber auch alle anderen pflegenden Angehörigen betrifft ist natürlich die


  • ERHÖHUNG DES PFLEGEGELDES.


Die Frage ist allerdings wie man diese Erhöhung gegenfinanziert, auch das ist uns durchaus bewusst. Wenn Betroffene durch ihre Angehörigen zu Hause gepflegt werden können, dann hilft das dem System, der Gesellschaft und insbesondere auch dem Steuerzahler.
Warum? Weil die Pflege in einem Pflegeheim oder einer entsprechenden WG wesentlich teurer kommt, als wenn man die Angehörigen und die Betroffenen gleichermaßen zu Hause finanziell unterstützt.
Die Regierung plant derzeit eine Neuausrichtung der Sozialhilfe (ehemalige Mindestsicherung). Beim 1. Hinschauen vielleicht „fair“. Bei näherer Betrachtung ist es für uns eine schwere Bestrafung von Angehörigen und auch von Betroffenen. Warum? Weil hier alles auf KANN-Bestimmungen ausgerichtet ist. Somit weiterhin der AMTSWILLKÜR Tür und Tor geöffnet bleibt.






Was pflegende Angehörige DRINGEND benötigen, dass ist eine finanzielle Absicherung. Nicht allen pflegenden Angehörigen ist es möglich, sowohl zu pflegen, als auch zu arbeiten. Daher galt ja bisher die Regelung:
Eine Voraussetzung für den Bezug von Leistungen aus der BMS ist der Einsatz der Arbeitskraft. Der Einsatz der Arbeitskraft darf insbesondere dann nicht verlangt werden, wenn pflegebedürftige Angehörige mit zumindest der Pflegestufe 3 überwiegend betreut werden. Die BMS sieht somit Leistungen für all jene vor, die aufgrund der Pflege keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können und auch keinen Anspruch auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung geltend machen können. (Quelle ÖZPR)


Daher fordern wir dringend ein


  • BETREUUNGSGELD
    (der derzeit wichtigste Punkt)


für alle (in sämtlichen Bundesländern einheitlich und unabhängig vom Einkommen im gemeinsamen Haushalt lebender Personen) die aufgrund der Pflege und Betreuung dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen können.
Somit wären pflegende Angehörige nicht gezwungen in der ehemaligen BMS bzw. in der neuen Sozialhilfe zu „versumpern“ bzw. sich in dieser „sozialen Hängematte“ „ausruhen“ zu müssen.




Hier ein kurzer Auszug zum Vergleich – Pflege zu Hause und Pflege im Heim:
Einerseits werden die Pflegekosten für den Steuerzahler „explodieren“ andererseits sind die finanziellen Ressourcen und das Personal sowie die Pflegeplätze nicht gegeben.
Arbeitsplatzbeschaffung auf dem Rücken der zu Pflegenden, die lieber zu Hause betreut werden wollen (Zwangsverheimung) ist nicht hinnehmbar.
Ein Pflegeplatz kostet / Monat im Durchschnitt: (Quelle: kwp.at):
für die Stufe 3 EUR 4.970,70
Stufe 4 EUR 5.320,80
Stufe 5 EUR 5.788,80
Stufe 6 EUR 6.442,20
Stufe 7 EUR 7.422,60 (Stand: Jänner 2017)


(Ein Heimvertrag in NÖ – Behinderten-WG kostet tägl. EUR 318,- - Quelle: KM)
Dem gegenüber stehen derzeit folgende Kosten (hier wurde das Wiener Modell herangezogen):
EUR 863 x 2 (Stand 2018)
Hinzu kommt Pflegegeld der Pflegestufen ab Stufe 3 (da erst hier anwendbar) nach Abzug von EUR 60,- bei gleichzeitigem Bezug der erhöhten FB (Stand 2017)


Stufe 3 EUR 397,80
Stufe 4 EUR 617,60
Stufe 5 EUR 860,20
Stufe 6 EUR 1.225,20
Stufe 7 EUR 1.628,90
Hinzu kommen Familienbeihilfe von EUR 162,/ Monat (ab 18)+
erhöhte Familienbeihilfe von EUR 152,90 / Monat
____________________________________________
Ergibt in Summe:
Stufe 3 EUR 2.362,34
Stufe 4 EUR 2.588,14
Stufe 5 EUR 2.830,74
Stufe 6 EUR 3.195,74
Stufe 7 EUR 3.599,44
____________________________________________
Vergleicht man nun die Werte zwischen „Daheim statt Heim“ und Heimunterbringung ergeben sich folgende Werte („Ersparnis“):


Stufe 3: EUR 2.607,66
Stufe 4: EUR 2.732,66
Stufe 5: EUR 2.958,06
Stufe 6: EUR 3.246,46
Stufe 7: EUR 3.823,16


Selbst wenn man dann noch einen Wert von rund EUR 1.000 bis EUR 1.800,- im Durchschnitt (abhängig von der Pflegegeldstufe und der Tagesstruktur) abzieht für Tagesstätten und Werkstätten ergibt sich immer noch ein PLUS von durchschnittlich 1.500,-/Person! - betrifft ab Stufe 3 gesamt 232.365 Personen (Quelle: MRV: Punktation Pflege)




Diese Tatsache sollte bei all´ der Diskussion um die Pflege unbedingt berücksichtig werden. Auch wenn die eine Auszahlung vom Bund und die andere Auszahlung vom Land finanziert wird, so sollte darüber nachgedacht werden, dass man hier auf Kosten der Betroffenen dem Steuerzahler kein „X für ein U“ vormachen sollte.


***


Dringend benötigt wird ein


  • AUSBAU an Mobiler Pflege UND Betreuung.


Derzeit gibt es mobile Pflege, aber nicht flächendeckend in ganz Österreich. Hinzu kommt, dass die Mobile Pflege nur für die Pflege, nicht aber für die Betreuung, zuständig ist.
Hierbei wäre ein Abbau der Bürokratie auch dringend nötig. Die Wartezeiten auf eine Mobile Pflege dauern zu lange, sind teilweise unflexibel (Eltern müssen sich nach den Bedingungen der Anbieter richten, nicht umgekehrt).
Gemeinsam zur Mobilen Pflege wäre auch


  • ein AUSBAU der Freizeit, Arbeits- und Persönlichen Assistenz


wünschenswert.


Dringend nötig wäre auch ein


***
  • AUSBAU der Kinderhospiz


***
  • Die 24 Stunden Pflege (die KEINE ist)
muss dringend verbessert werden. Die Qualität der Anbieter lässt hier teilweise sehr zu wünschen übrig. Es gibt keine Qualitätssicherung und man findet keine Betreuer. Eine einheitliche Vorgabe auf Bundesebene wäre sehr vernünftig. Die derzeitige finanzielle Unterstützung ist aber nicht ausreichend .


***


  • Ende der Zwangsverheimung und
  • Ende der Willkür bei Ärzten, Gutachtern, und Ämtern


Es muss ein Ende der „Zwangsverheimung“ geben. Gutachter, Ärzte, Ämter bestimmen meist willkürlich über das Leben der Betroffenen und auch über dass der Angehörigen. Hier wird einfach über Personen unter dem Deckmantel „zum Wohle aller“ drüber gefahren. Die geplante „Qualitätssicherung“ in der Pflege zu Hause, Seitens der Regierung, gleicht eher einer „Entmündigung“, denn einer Qualitätskontrolle.


Was uns Eltern in weitestem Sinne auch betrifft, dass ist die Tatsache, dass für uns der Pflegeregress nicht gefallen ist und wir für unsere Kinder ein Leben lang aufkommen müssen.
Schön und gut, aber wenn man unseren Kindern ein selbstbestimmtes Leben verweigert, indem man sie kurz hält, ihnen die Deckung der Grundbedürfnisse und des Lebens verweigert, bzw. indem man sie klein hält, weil es immer noch keinen


  • Lohn statt Taschengeld


gibt, dann deckt sich dass nicht mit den Wünschen und Vorgaben.
Nach wie vor bekommen Menschen in Tagesstrukturen und Werkstätten ein Taschengeld zwischen EUR 30,- und EUR 60,- im Monat.
Tatsache ist, dass in Werkstätten gearbeitet wird! Menschen arbeiten dort fast GRATIS! Richtig ist, sie zahlen keine Steuern. Richtig ist aber auch, dass sich Betriebe hier auf dem Rücken von Menschen mit Behinderungen Geld sparen für ihre Unternehmen. Dass muss ein Ende haben.


Die Privatwirtschaft bzw. der 1. Arbeitsmarkt mag Menschen mit Behinderungen nicht aufnehmen oder nur sehr sperrlich Arbeit zur Verfügung stellen. Trotzdem haben diese Menschen RECHT auf Arbeit. Dann muss man ihnen auch einen Arbeitsplatz schaffen. Es gibt einen sogenannten 2. Arbeitsmarkt der viele Menschen mit Behinderungen und auch chronisch Kranke „beherbergt“. Schön und gut! ABER dann müssen diese Menschen vernünftig bezahlt werden!!! Mit Pensionsversicherung, Sozialversicherung, Krankenversicherung, Urlaubs- und Weihnachtsgeld!


All das hat man bisher verabsäumt und stempelt man diese Menschen als „Sozialhilfeempfänger“ und Menschen, die sich`s in der „sozialen Hängematte“ gut gehen lassen, ab!
***
Eine weitere nicht nachvollziehbare Maßnahme der Regierung, die uns als Eltern sehr wohl betrifft, dass ist die Tatsache, dass unsere Kinder, sofern sie es nicht geschafft haben am 1. Arbeitsmarkt zu lernen und Fuß zu fassen (in den meisten Fällen ein Ding der Unmöglichkeit) eine Ausbildung am 2. Arbeitsmarkt absolvieren. Also die viel verspottete IBA und ÜBA Lehre zu machen. Die Regierung geht hier davon aus, dass junge Erwachsene ab 18 bereits ausgelernt haben sollten und wenn sie dies nicht haben, dann werden sie bestraft. Man möge sich am 1. Arbeitsmarkt eine Lehre suchen, oder mit der Halbierung der Lehrlingsentschädigung für IBA und ÜBA Lehren im 1. und 2. Lehrjahr klar kommen. Eine Bestrafung die vielen dieser Betroffenen nicht ermöglicht ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Tatsache ist aber, dass man erst dann einen Platz in einer ÜBA oder IBA Lehre bekommt, wenn man es wegen seiner intellektuellen Beeinträchtigung oder wegen seiner psychischen Beeinträchtigung oder wegen seiner körperlichen Beeinträchtigung oder allem zusammen, nicht geschafft hat, am 1. Arbeitsmarkt einer Lehre nachkommen zu können. Hier werden Menschen diskriminiert und bestraft, weil sie nicht „richtig funktionieren“.


All das sind Probleme die uns als betroffene Angehörige und auch unsere Kinder mit Behinderungen betreffen und all das sind Probleme die dringend „angepackt“ und verbessert werden müssen.


***






(Man kann im Übrigen noch so sehr die Ausbildung in der Pflege ausbauen und „verbessern“. Solange man nicht vernünftige Rahmenbedingungen schafft, nämlich bessere Bezahlung, bessere Arbeitsbedingungen, bessere Arbeitszeiten, etc., wird sich das Problem nicht verbessern lassen. Und im Übrigen ist NICHT jeder für die Pflege geeignet. Mit so Ideen wie, „da kann man die Arbeitslosen heranziehen“, verschlechtert und erniedrigt man die Sparte der Pflege und Betreuung zusätzlich. )


Die Idee einer zusätzlichen Pflegeversicherung, so wie nach dem System bei Kranken- und Pensionsversicherung, für ALLE gleich, wäre aus unserer Sicht durchaus diskussionswürdig.
***
  • AUSBAU der Nachmittagsbetreuung für Kinder mit Behinderungen


Eltern, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen können, weil die Pflege und Betreuung nicht so aufwändig ist, brauchen ganz dringend einen Ausbau der Nachmittagsbetreuung.


***
  • Gemeinsam Wohnen – Inklusion
Ein letzter wichtiger Punkt wäre von unserer Seite noch anzumerken zur Idee, dass man Senioren und Studenten gemeinsam unterbringt und gemeinsam wohnen lässt. Die Idee ist nicht neu und wurde auch schon von unserer Seite aufgegriffen, mit dem einzigen Unterschied, dass wir finden, dass hier auch Menschen mit Behinderungen unbedingt berücksichtigt werden sollen. Hier könnte man das betreute, aber auch das teilbetreute Wohnen für Menschen mit Behinderungen ausbauen. Das wäre ein großer und wichtiger Schritt auf dem Weg zur Inklusion.








Wien, am 14.01.2019 Selbsthilfegruppe ENTHINDERT

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen